2016/02/16

Stereotype & Tokyo - idealisiertes und aufpoliertes Image von ausländischen Touristen in Tokyo

Ein neuer, internationaler Look für Tokyo musste her, da die Stadt und sowieso das ganze Land überhaupt im Sauseschritt auf die Olympischen Spiele 2020 in Tokyo zusteuern. 
Diverse "Skandälchen" und "Problemchen" - wie zB das plagiierte Logo der Tokyo Olympics des Designers Sano Kenjiro, welches jetzt durch ein neues ersetzt wird, oder die Kontroverse um die Ausgaben für das neue opulente Olympic Stadium, die auch einen neuen Entwurf und Plagiatsvorwürfe zur Folge hatten, werden geflissentlich ignoriert. 

Ein Plagiat ist ein Plagiat ist ein Plagiat.

Tokyo Brand - & Tokyo

Interessant ist hierbei, dass das um internationales Ansehen bemühte Tokyo dabei im Verdacht steht, ausländische Ideen geklaut zu haben. Zumindest war die "Ähnlichkeit" des Tokyo 2020 Logos von Sano Kenjiro mit dem Logo des Theatre de Liege so verblüffend hoch, dass das Logo Anfang September letzten Jahres zurückgezogen werden musste. Natürlich genau einige Tage später, nachdem die ganze Stadt mit den Plakaten für dieses neue Logo zugekleistert worden war.
Auch gewann bei der Ausschreibung für den Entwurf eines neuen Olympischen Stations die britisch-irakische Architektin Zaha Hadid, doch ihr Entwurf wurde letztendlich als zu teuer bewertet und neu gestaltet. Worüber die Architektin natürlich nicht erfreut war, schon gar nicht, nachdem der neue Entwurf des Japaners Kuma Kengos ihrem doch sehr ähnle.

Sei es drum, in einer Welle an Designentwürfen und -verwürfen musste auch für die Stadt Tokyo als solche ein neues Logo her, und voila, hier ist es 

& Tokyo (Sprich: "ando toukyou")
Wunderbar! Lange ließen die Plagiatsvorwürfe auch hierbei nicht auf sich warten, aber es wurde als ok befunden und noch nicht revidiert.

Das & Zeichen gibt es in 5 Farben:
  • rot bedeutet "unique" und repräsentiert alles, was typisch japanisch ist, wie zB Hanami & Tokyo.
  • violett bedeutet "excellent" und steht für exzellente Qualität von japanischen Produkten, wie zB Sushi & Tokyo.
  • kräftiges gelb bedeutet "exciting" und steht für alles, was aufregend und spannend in Tokyo ist, wie zB Fashion & Tokyo.
  • kieferngrün bedeutet "delight" und steht für omotenashi ("japanische Gastfreundschaft") und Aufrichtigkeit, wie zB Welcome & Tokyo.
  • hellblau bedeutet "comfort" und steht für Sicherheit, Komfort und Korrektheit, wie zB Eco & Tokyo. 

Verschiedene Anwendungsmöglichkeiten von &Tokyo
 Dazu gibt es natürlich auch Promotionvideos, die zeigen sollen, wie toll, interessant und vor allem COOL Japan für Ausländer ist. In 3 Versionen, die eigentlich nur aus 2 Versionen bestehen (Version Nr. 3 ist eine frankensteinartige Vermischung der beiden ersten Versionen und ergibt nichts Neues)
Warum zwei Versionen? Na klar, weil es bei Touristen Männlein und Weiblein gibt. Und die sind beide zufällig jung und äußerst attraktiv und besuchen Tokyo. Hier möchte ich kurz die Videos zeigen und ein paar kurze Gedanken zu den darin vorkommenden Stereotypen in Bezug auf Ausländer, und ja auch auf Gender, festhalten.


You & Tokyo - die Werbeclips


Gehen wir zum ersten Video:


Was macht der junge Herr in dem 90 Sekunden Video?
  • Er ist im Hotel (Tokyo Skytree)
  • Er verirrt sich am Bahnhof (Shinagawa)
  • und geht zum Tsukiji Fischmarkt
  • Dort trifft er auf Beat Takeshi, der ihm Fische andrehen will
  • Nach einem Abstecher zum Sensoji in Asakusa 
  • geht er in ein typisches Sento (öffentliches Bad) und wird von den japanischen Männern visuell sexuell belästig 
  • er kämpft mit einem Sumo Ringer
  • der Kampf wird in einem Anime dargestellt und
  • als Videospiel beendet (er verliert natürlich)
  • er macht dann Party in einer Disco mit Robotern
  • nimmt an einem Matsuri teil und 
  • trägt auch den Mikoshi (Schrein)
  • er ißt Sashimi und plaudert dabei mit seinen (ausländischen) Freunden
  • und entdeckt dabei seine Herzdame (Ausländerin), mit der er unter einem Schirm geht (= in Japan bedeuten Mann & Frau unter dem Schirm = Liebespaar) 
  • sie gehen Karaoke, im Hintergrund funkelt der Sky Tree
  • danach folgen Rockkonzert und
  • Hanabi (Sommerfeuerwerk) mit der Herzdame
  • das Paar umarmt sich glücklichst und es wird ein Schriftzug eingeblendet
"Verbinde dich mit Tokyo. Dann beginnt etwas" (東京とつながる。何かがはじまる。)
Am Schluss im Abspann die Zusammenfassung:
Music & Tokyo
Food & Tokyo
Sumo & Tokyo
Tradition & Tokyo
Party & Tokyo
You & Tokyo (Mann beim Mikoshi tragen)

 Der junge Herr verbringt also einen recht spannenden und vor allem anstrengenden Urlaub in Tokyo. Sehen wir uns nun die junge Frau an.


Was macht die Frau in den 90 Sekunden?

  • Sie fährt im Taxi durch die Stadt bei Nacht (Leuchtreklame Tokyos)
  • sie geht ins Hotel 
  • macht dort Yoga am Morgen (mit Blick auf Shinjuku)
  • Sie geht shoppen (Kleidung & Schuhe)
  • Sie geht in eine Kunstausstellung und 
  • trifft dort die Künstlerin Kusama Yayoi (und ist von ihr befremdet)
  • sie macht dann Ikebana (Blumenstecken) und 
  • nimmt an einer Teezeremonie teil (sie trägt dabei keinen Kimono)
  • sie geht ins Onsen und
  • sie wird im Onsen von vielen Kappas (japanischer Wasserkobold) sexuell belästigt bzw erschreckt (Szene als Anime)
  • sie geht daraufhin Sushi essen, mit einem netten Mann (Ausländer von Video 1 wurde recycled)
  • sie spaziert mit ihren ausländischen Freunden durch die große Stadt bei Nacht
  • und gönnt sich mit ihnen ein paar Drinks in einer coolen Bar
  • dann gibts Disco und Tanzen mit dem netten Mann und kommen sich näher (ohlala!)
  • und zum Schluss wurde die Hanabi Szene vom Mann recyled, wo sie happy vereint sind
Es folgt das obligatorische "Verbinde dich mit Tokyo. Dann beginnt etwas" (東京とつながる。何かがはじまる。)
Im Abspann die Zusammenfassung:
Art & Tokyo
Shopping & Tokyo
Sushi & Tokyo
Party & Tokyo
You & Tokyo (Frau im Onsen)

Gender-Stereotype & Tokyo

Zunächst möchte ich kurz zum Gender-Stereotyp übergehen, da er meiner Meinung nach am offensichtlichsten ist, wenn man die Videos direkt hintereinander gesehen hat.

Frauen machen Yoga in Tokyo
(c) dapino-colada.nl
 Im Vergleich zum netten Mann verbringt die Frau einen recht ruhigen und angenehmen Tokyo Urlaub. Man könnte auch sagen, langweilig. Sie macht typische weibliche Aktivitäten, wie shoppen, Ikebana & Tee, Onsen, Yoga und manchmal gibts Essen und Party. Der Mann hingegen ist viel aktiver und macht die "männlichen" Sachen, wie Fischmarkt, Matsuri und alleine im Zug fahren, das als grosses Abenteuer dargestellt wird (die Frau lässt sich lieber im Taxi chauffieren), und es gipfelt schliesslich im Kampf mit dem Sumo-Ringer. Party und Essen ist für beide ok und das Hanabi ein Muss, da sie sich natürlich ineinander verliebt haben, und das symbolisiert so ein Feuerwerk doch am besten.

Der Unterschied zwischen Mann und Frau wird auch vor allem durch die Hintergrundmusik (er = schnelle, aufregende Musik/ sie = langsame, ruhige Musik) hervorgehoben. Allein aufgrund der Musik und der Inhalte würde ich (weiblich) jedoch lieber einen Tokyo Aufenthalt ala Mann haben, da mir der der Frau viel zu langweilig vorkommt.

Man erkennt meiner Meinung nach sehr gut, dass die beidenen Videos von Japanern ausgedacht wurden, die sich genau so den Tokyo-Aufenthalt eines ausländischen Mannes und einer ausländischen Frau vorstellen. Allerdings verhalten sich die beiden wie ein typischer westlicher Mann und eine typische japanische (!) Frau. Vor allem die Körpersprache der Frau (insbes. die Szene im Museum neben Kusama, sie hat die ganz gleiche Art sich zu Setzen und zu Sitzen wie eine manierliche Japanerin, aber auch ihre Körperhaltung im Onsen ist sehr typisch für eine Japanerin) und die des Mannes (im Kampf gegen den Sumoringer, stellt allerdings typisch "westliches überhebliches" männliches Verhalten dar) repräsentieren die Gender-Stereotype sehr stark.
Interessant ist auch, dass der Mann ein bißchen Machohaft und komisch rüberkommt, so wie man sich eben einen typischen ausländischen Mann vorstellen würde. Währenddessen stellt die Frau eine wohlerzogene feine Japanerin mit ausländischem Gesicht dar. Daraus kann man schließen, dass es in Japan sehrwohl ein bestimmtes Klischee gegenüber westlichen Männern gibt (cool, machohaft, von sich selbst überzeugt, aber dennoch aktiv und lustig), aber das Bild (image) einer westlichen Frau noch sehr unklar ist, weswegen sie sich "japanisiert" verhält.

Ausländer-Stereotype & Tokyo

Die nächsten Stereotype, die auffallen, sind jene in Bezug auf das Bild von Ausländern in Japan. In Japan ist alles was nicht Japaner ist ein Ausländer, sprich gaikokujin (外国人), wenn sie sich Zeit nehmen, aber oft einfach abgekürzt zu gaijin (外人). Das ist eher eine unhöfliche Bezeichnung für Ausländer, auch wenn Japaner daraus oft ein gaijin-san (外人さん)machen.
Die beiden Protagonisten der You &Tokyo Promotionvideos verkörpern das Idealbild von Ausländern für Japaner. Beide obligatorisch jung, attraktiv - und westlich. Womöglich Amerikaner oder Australier oder (West)Europäer wie Briten oder Deutsche, aber auf jeden Fall westlich = seiyoujin (西洋人) oder oubeijin (欧米人).

Tatsächlich besuchten unter anderem Dank des billigen Yens letztes Jahr so viele Ausländer wie noch nie Japan.

Im September kamen 1,6 Millionen Touristen, was ein Plus von 46,7% im Vergleich zum Vorjahr ergab und Oktober 2015 besuchten sogar 1,8 Millionen Touristen (+43,8%) Japan. Im Gesamtjahresüberblick 2015 besuchten 19.374.000 Personen Japan, das ergab ein Plus von 47,1% im Vorjahresvergleich. Das brachte für die japanische Wirtschaft Einnahmen von über 3,48 Billionen Yen (im Vergleich zu 2,03 Billionen Yen im Vorjahr).

Noch nie waren so viele Touristen nach Japan gekommen und natürlich hofft die Regierung auf noch mehr Touristen und noch mehr Einnahmen zur Zeit der Olympischen Spiele in Tokyo 2020. Und als Lockmittel wurden natürlich die You & Tokyo Videos gedreht.

Aus welchen Ländern aber stammen die Touristen? Sind es die im Promotionvideo herbeigesehnten jungen westlichen Ausländer?
Nein, im Gegenteil. Hier die Statistik für das letzte Halbjahr 2015.


China belegt den ersten Platz mit einem Plus von 99,6 % (Sept.&Okt.) sowie 75% (Nov.).
Hong Kong folgt an zweiter Stelle mit einem Plus von 64,9% (Sept.), 66,9% (Okt.) sowie 53,4% (Nov.)
Korea (Südkorea) belegt ein wenig abgeschlagen den dritten Platz mit einem Plus von 38,6% (Sept.), 48,6% (Okt.) und 50,5% (Nov.)
Danach folgen Taiwan, Singapur und die restlichen Länder aus Asien. Westliche Länder folgen erst weiter abgeschlagen. Das größte Plus von diesen Ländern verzeichneten Kanada und Australien. 

Sieht man sich die Statistik nach Region aufgeschlüsselt für September 2015 an ergibt es folgendes Bild:



Die Touristen aus der Region Asien ergaben für September 2015 ein Plus von 55,5%, Europa (11,9%) und Nordamerika (11,8%) sind im Vergleich dazu verschwindend gering. Auch JapanToday schreibt, dass im Jahr 2015 insgesamt 4,99 Millionen Touristen aus China Japan besuchten und somit ein Plus im Gesamtsjahresvergleich zu 2014 von 50% ergaben. Knapp gefolgt von 4 Millionen koreanischen Touristen und 3,68 Millionen taiwanesischen Touristen. Die Besucher aus den USA beliefen sich auf 1 Million, was ein Plus von 16,6% ergab.

Natürlich ist der billige Yen für viele Chinesen verlockend, sowie auch eine erstarkende chinesische Mittelschicht, die sich mit japanischen Produkten eindecken möchte. Deswegen war das Wort bakugai (爆買い、"explosionsartiges Kaufen")  in Bezug auf den Kaufrausch der chinesischen Touristen eines der Schlagworte des letzten Jahres gewesen. Auch wenn die Anzahl der westlichen Touristen stets gleichbleibend ist, so ist doch die erstaunliche Anzahl an chinesischen Touristen in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Man sieht chinesische Touristen auch vermehrt im Stadtbild (in größeren oder kleineren Gruppen), und Kabukicho gibt sogar einen chinesischsprachigen Guide heraus, damit die Touristen nicht von Keilern reingelegt werden. Auch wird an von Touristen stark frequentierten Orten die Zahl an chinesischsprechendem Personal erhöht.
Kurz gesagt, den wirklich ausschlaggebend hohen Anteil an ausländischen Touristen machen nicht die westlichen Ausländer aus den You & Tokyo Videos, sondern Touristen aus Asien, vornehmlich China.
Und diese Realität bilden die Videos überhaupt nicht ab. Und ich denke auch, dass sie asiatische Touristen nicht ansprechen, weil diese sich eben nicht mit westlichen Ausländern identifizieren.

In diesen You & Tokyo Promotionvideos wird somit ein Typ, ein Steretyp, eines gewünschten ausländischen Touristen vermittelt. Ein ausländischer Tourist, der unter sich bleibt, sich in eine andere ausländische Touristin verliebt, ein bisschen Kultur und Kulinarik schnüffelt, aber weitgehenst vom echten Leben in Tokyo bzw Japan entfernt ist. Sich nicht einmal annähern, sondern nur die schönen, lockeren Seiten, die glatte Oberfläche von Tokyo kennenlernt.

Sowas ist natürlich im echten Leben total langweilig und wirklich nur für die Spanne eines erst- und zugleich auch letztmaligen Kurztrips nach Tokyo spannend, aber andererseits geht es hier um Werbung für eine Stadt. Und wie wir alle wissen, lebt Werbung von Stereotypen. Sei es jetzt in Bezug auf Gender, Region oder Kultur, etc, etc.

Anhand dieser beiden Videos erkennt man meiner Meinung nach allerdings  sehr gut, welche Art von Menschen sich Japan für die Olympischen Spiele 2020 in Tokyo als Besucher wünscht - nette, adrette westliche Ausländer, die ein bißchen Japan schnuppern wollen, aber dennoch brav unter sich bleiben - und ganz wichtig: auf jeden Fall wieder heimkehren!

Japan möchte für das kommende Jahr die 20 Millionen Marke an Touristen übertreffen. Das hängt natürlich auch von der chinesischen Wirtschaft ab - aber auch von der Gastfreundlichkeit Japans gegenüber seinen asiatischen Touristen.



1 Kommentar:

  1. bin noch beim lesen, aber ich musste grad voll lachen bei deinem kommentar "ando toukyou" GENIAL!! XD

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